Die neuen Kriege im europäischen Gegenwartsroman


Herfried Münkler skizziert bereits in seinem Buch Die neuen Kriege (2002), wie unscharf der Versuch bleiben muss, sie von National-, Welt- oder Kolonialkriegen zu trennen, die Gewalt ist in den neuen Kriegen willkürlich, privatisiert und kommerzialisiert geworden und richtet sich häufig asymmetrisch gegen die Zivilbevölkerung, ähnlich schwierig ist es festzustellen, wann sie überhaupt beendet sind (vgl. BPB). Mit der Verabschiedung der klassischen Staatskriege sind neue Akteure, räumlich-zeitliche Dramaturgien, aber auch neue Narrationen entstanden, und die vorliegende Ausschreibung geht von der These aus, dass die europäische Erzählliteratur der Gegenwart hierauf reagiert und die Kriege als Schauplatz, Medieninszenierung oder beiläufigen Hintergrund, mit einem je wechselnden Verhältnis von ästhetischem und politischem Interesse, ggf. auch nur als traumatisierenden Vorlauf ihrer Figuren nimmt. Nicht unbedingt im Fokus der Ausschreibung stehen Filme oder journalistische Texte zu den neuen Kriegen. In Einzelfällen sind auch transatlantische Erzähltexte (z.B. Kanada, USA) zur Untersuchung möglich, komparatistische Zugänge sind willkommen.

Kriege und Krisengebiete interessieren die Erzähler auch als Gegenstand einer sich auf Recherche stützenden, ihren Realismus betonenden Literatur. Beispiele sind: Ost-Ukraine, Syrien, Nigeria, ‚Islamischer Staat‘, aber auch der Afghanistankrieg, der eine eigene Gattung hervorgebracht hat, den Afghanistanroman – der Terminus ist 2011 in der deutschen Presse zunächst für Kurbjuweits Kriegsbraut in Gebrauch gekommen (J. Encke in F.A.Z., 13.3.2011) und wird seither auch für andere Romane der Thematik benutzt. So betont Jauer, Jonathan Littells Roman über den Holocaust sei in nuce ein Roman über alle Kriege der Gegenwart, wie eben Afghanistan. Die neuen Kriege sind aus romanistischer, germanistischer bzw. komparatistischer Perspektive je in Kontexte nationalpolitischer Debatten zu stellen. Mit dem Afghanistankrieg bspw. beginnt in deutscher Perspektive zwischen 2001 und 2014 eine neue Form außenpolitischen Engagements der Kriegsbeteiligung der Bundeswehr. Insofern ist auch die kontrastive Sicht auf die historischen Unterschiede der Kriege bzw. auf verschiedene nationale Perspektiven bei der Bewertung dieser Kriege hinzuweisen. Exemplarisch für relevante Texte werden Afghanistanromane unten aufgelistet.

Mögliche Aspekte sind etwa:

– (De-)Konstruktion der Spezifizität ‚neuer‘ Kriege;
– Medien- und Gewaltdarstellung;
– Terrorismus und politische Aussagen;
– Männlichkeit und Heroismus;
– Verbindung einer Poetik des Realismus mit Krieg und Krisengebiet;
– Kriegsschauplätze (z.B. Afghanistan) als Exempel von Reiseliteratur und ethnologischer Beobachtung bzw. Naturbilder;
– Migration;
– nationales Erinnern im Vergleich zu je anderen Kriegsromanen;
– Erinnerung und Trauma der Kriegsheimkehrer etc.

ZEITPLAN

– bis 1. September 2015: Einreichung von Beitragsvorschlägen (mit kurzem bio-bibliographischen Hinweis, Arbeitstitel und einem Kurzabstract bis ca. 2.000 Zeichen)
– bis Mitte September 2015: Auswahl der Beiträge für den Band
– bis 15. Februar 2016: Einreichung der Beiträge
– Publikation ca. Sommer 2016, je nach Umfang als Themenheft der Zeitschrift Romanische Studien oder als Sammelband. Publikationssprachen können neben Deutsch, wo sinnvoll, auch Englisch und die romanischen Sprachen Französisch, Italienisch, Spanisch sein.

AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE

Beispiel Afghanistankrieg im Roman – andere neue Kriege sind gleichermaßen von Interesse

deutschsprachig

  • Dieckmann, Dorothea. Guantanamo. Roman. Stuttgart: Klett-Cotta, 2004. [Klagenfurter Literaturwettbewerb], vgl. http://www.perlentaucher.de/buch/dorothea-dieckmann/guantanamo.html
  • Haffner, Helmut H. Geflüsterte Schreie: Erzählung. edition fischer, 2014.
  • Herrndorf, Wolfgang. Bilder deiner großen Liebe: ein unvollendeter Roman. Berlin: Rowohlt, 2014.
  • Klischat, Claudia. Der eine schläft, der andere wacht: Roman. München: C.H. Beck, 2010. (indirekt)
  • Kurbjuweit, Dirk. Die Kriegsbraut. Reinbek: Rowohlt, 2012.
  • Langer, Tanja u. David Majed. Der Himmel ist ein Taschenspieler. Langen Müller, 2014.
  • Niermann, Ingo. Deutscher Sohn. Berlin: Blumenbar, 2010.
  • Rausch, Jochen. Krieg: Roman. Berlin: Berlin-Verlag, 2013.
  • Reichlin, Linus. Das Leuchten in der Ferne. Berlin: Galiani, 2013.
  • Schätzing, Frank. Breaking News. Roman. Köln: Kiepenheuer und Witsch, 2014.
  • Scheurer, Norbert. Die Sprache der Vögel. München: C.H. Beck, 2015.
  • Streeruwitz, Marlene. Die Schmerzmacherin. Frankfurt a.M.: Fischer, 2011.

französischsprachig

  • Dalmayer, Paulina. Aime la guerre! Paris: Fayard, 2013.
  • Lallemand, Alain. Ma plus belle déclaration de guerre. Editions Luce Wilquin, 2014.
  • Lugrin, Lisa et al., Hrsg. Afghanistan: récits de guerre, Poitiers: Éd. FLBLB, 2011.
  • Rahimi, Atiq. Maudit soit Dostoievski. Paris: Ed. de Minuit, 2011.
  • Rahimi, Atiq. Erde und Asche. München: Claassen Verlag, 2002. (Aus dem afghanischen Persisch)
  • Hosseinis, Khaled. Der Drachenläufer. Marc Forster, Verfilmung
  • Tengour, Habib. Der Fisch des Moses. Roman. Innsbruck: Haymon Verlag, 2004. http://www.perlentaucher.de/buch/habib-tengour/der-fisch-des-moses.html

italienisch

  • Geda, Fabio. Nel mare ci sono i coccodrilli: storia vera di Enaiatollah Akbari. Hrsg. mit dt. Worterklärungen von Uta Manogg. Stuttgart: Reclam, 2015.
  • Giordano, Paolo. Il corpo umano. Mondadori, 2012. [Bereits vergeben!]
  • Mazzucco, Melania Gaia. Limbo. Einaudi, 2012.
  • Bernacchi, Filippo Pavan. Roccaforte Afghanistan: romanzo. Mursia, 2014.

englischsprachig

  • Adams, Lorraine. Crash: Roman. Aus dem Englischen von Miriam Mandelkow. Hamburg: Arche Literaturverlag, 2011.
  • Ahmad, Jamil. Der Weg des Falken. Hamburg: Hoffmann und Campe, 2013,
  • Aslam, Nadeem. Das Haus der fünf Sinne. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Reinbek: Rowohlt, 2010.
  • Foden, Giles. Sansibar: Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Ulrich Blumenbach. Berlin: Aufbau-Verlag, 2003.
  • Forsyth, Frederic. Der Afghane. (OA: The Afghan) Goldmann, 2008.
  • Meek, James. Fremdland. Roman. Aus dem Englischen. München: Fahrenheit Verlag, 2008.
  • Powers, Kevin. The Yellow Birds. New York: Little, Brown and Co., 2012.

niederländisch

  • Durlacher, Jessica. Der Sohn. Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers. Zürich: Diogenes, 2012.

Abbildung: Ninara, „Darul Aman Palace“ (Kabul, Afghanistan)