Die romanischen Länder umfassend verstehen
Kai Nonnenmacher übernimmt die Bamberger Professur für Romanische Kultur- und Literaturwissenschaft
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Die Fragen stellte Patricia Achter
Worin besteht Ihr Selbstverständnis als Professor?
Die Universität Bamberg hat in den letzten Jahren jeder Philologie eine Kulturwissenschaft ergänzend zu den Sprach- und Literaturwissenschaften beigesellt, dies wird mit meiner Professur auch für die Romanistik umgesetzt. Ich bin von meiner Ausbildung her Literaturwissenschaftler mit den Schwerpunkten Französisch und Italienisch und werde auch weiterhin von den Trobadors im Mittelalter bis zum Roman des 21. Jahrhunderts Veranstaltungen anbieten, auch der klassische Literaturkanon für die Lehramtsstudiengänge findet Berücksichtigung.
Hinzu treten mit der Neuausrichtung meiner Professur in Forschung wie Lehre auch andere kulturelle Bereiche über Sprache und Literatur hinaus, wie beispielsweise politische Diskurse, Themen der Alltagskultur, neue Medien oder Erinnerungspolitik in den romanischen Ländern. Diese Kulturräume werden heute umfassender als nur philologisch untersucht, aber Kulturwissenschaft hat sich zugleich von der bloßen Faktenvermittlung der Landeskunde im engeren Sinne entfernt. In der deutschen Romanistik hat die Literaturwissenschaft stärker von der Textwissenschaft auf kulturtheoretische Fragen fokussiert, hier bewegen wir uns häufig auf einem Terrain zwischen den Disziplinen, etwa bei der Ethnologie und den Medienwissenschaften, der Geschichtswissenschaft und der Soziologie. Andere Medien rücken neben den Text, die Disziplinengrenzen werden dabei unschärfer.
Nehmen Sie nur die Revolution der politischen Kultur mit Emmanuel Macron, der sich der identitären Verunsicherung Frankreichs entgegengestellt hat und sich zugleich der alten ideologischen Lageraufteilung verweigert, oder das Manifest prominenter Frauen wie Catherine Deneuve, in dem sich Französinnen gegen die amerikanische #metoo-Sexismusdebatte wehren: weil die „Verführung à la française“ von ihr bedroht sei. Nehmen Sie die Schließung von Mittelmeerhäfen für Flüchtlingsschiffe in der neuen italienischen Regierung aus Cinque Stelle und Lega Nord, die symbolische Bezüge zum antistaufischen Lombardenbund des 12. Jahrhunderts aufruft. Bayern ist ein Kulturstaat, sagt die Landesverfassung. Wir stehen heute vor der Herausforderung, Studierenden in verkürzter Zeit weiterhin die große Tradition der romanischen Literaturen nahezubringen, andererseits sollten sie auch bspw. eine Zeitung ‚ihres‘ Landes verstehen und bei den zeitgenössischen Debatten mit einem weiteren kulturellen Blick kompetent mitreden können, und dies mit historischer Tiefe ebenso wie gegenwartsbezogen.
Meine Antrittsvorlesung im kommenden Wintersemester [1] verbindet Geschichte und Gegenwart kultureller Untergangserzählungen, beginnend bei Montesquieu und Rousseau im 18. Jahrhundert und bis zum französischen „déclinisme“ der Gegenwart etwa bei Zemmour und Onfray. Auch lassen sich die Dystopien der französischen Gegenwartsliteratur etwa bei Houellebecq davon nicht trennen. Das Phänomen ist ja auch hier mit Sarrazins Deutschland schafft sich ab oder Sieferles Finis Germania nicht unbekannt, gerade im Jubiläumsjahr von Spenglers Untergang des Abendlandes bietet sich das Thema an, die schöne Bamberger Institution der Hegelwoche hat 2018 mit der Frage „Warum Reiche vergehen“ ähnlich reagiert. So ist das Thema m. E. ein Beispiel, wie Romanistik gesellschaftliche Relevanz zurückerobern kann.
Haben Sie ein besonders wichtiges / schönes / spannendes Forschungsprojekt, das Sie gerne kurz vorstellen möchten?
Ich wehre mich seit einer Weile gegen die Tendenz in der heutigen Romanistik, die Mediävistik zu vernachlässigen, habe bereits in Regensburg im Forum Mittelalter mitgearbeitet und freue mich über die Möglichkeiten des Bamberger Zentrums für Mittelalterstudien, hier erwähne ich nur die Danteforschung oder die besondere Kontinuität der italienischen Lyrik. Mich beschäftigt auch die Geschichte der Philologien, als historische Reflexion der Gewordenheit unseres Fachs. Ein Schwerpunkt liegt zugleich auf dem unmittelbaren Gegenwartsroman vor allem Frankreichs: Literatur hat immer einen Eigenwert als Zugang zur Wirklichkeit, umso mehr in einer fremden Sprache und Kultur. An dieser Stelle möchte ich nur drei weitere Stichworte nennen: Politisches Denken, Religion in der Moderne, Zeitschriftenherausgabe.
Zunächst zum Politischen Denken: Ich habe in den letzten Jahren begonnen, gemeinsam mit dem Politikwissenschaftler Oliver Hidalgo den Zusammenhang von politischer Ideengeschichte und Textstrukturen zu untersuchen, zunächst mit einem Tagungsband über das politische Denken in Italien zwischen Mittelalter und Renaissance. Eine interdisziplinäre Buch- und Tagungsreihe [2] soll in Bamberg fortgeführt werden, mit Themen wie der Entstehung der Idee des Volks in der Neuzeit, der politischen Romantik im Europa der Nationalstaaten oder mit dem Denken von Differenz in der pluralisierten Moderne. Bildlichkeit, Argumentationsstile oder gar Literarizität von Texten dürfen nicht vernachlässigt werden, wenn wir eine Geschichte politischer Ideen schreiben wollen.
Dann zur Religion in der Moderne: In meiner Habilitationsschrift habe ich für die Zeit zwischen 1870 und 1930 in Frankreich und Italien (also zwischen Erstem Vaticanum und Lateranverträgen) untersucht, wie der literarische Modernismus auf einen Katholizismus produktiv reagiert, der die Moderne ja zunächst als Krise und Bedrohung erfährt – was ja noch mitunter heute gilt, die Idee der Religionsfreiheit etwa wird erst Mitte der 1960er Jahre bekräftigt. Das Bamberger Zentrum für Interreligiöse Studien ist insofern ein spannendes Forum angesichts aktueller Fragen wie Kreuzen im öffentlichen Raum, neue Antisemitismen, politischer Islam. Aber Frankreich, Italien und Spanien gehen dabei aus kulturellen Gründen häufig andere Wege als Deutschland, das interessiert mich weiterhin.
Schließlich die Zeitschriftenherausgabe: Vor drei Jahren habe ich die Fachzeitschrift Romanische Studien gegründet, deren rasante Annahme durch die internationale Fachgemeinschaft (inzwischen mit über 800 Abonnent/innen weltweit) nicht zuletzt durch die Publikationsform erklärbar ist, denn neben der gedruckten Form (bei der Akademischen Verlagsgemeinschaft München) ist sie zeitgleich digital online [3] frei zugänglich, inzwischen erscheinen auch erste Bände der begleitenden Beihefte, als nächstes etwa ein biobibliographisches Romanistenlexikon und ein internationaler Band zum 500-jährigen Jubiläum des Orlando Furioso von Ludovico Ariosto. Solche Herausgebertätigkeit macht allerdings viel Arbeit, die im Open Access nicht durch einen Verlag erledigt wird. Und so haben mir Präsident Ruppert, Dekanin Steuer-Flieser und Bibliotheksdirektor Franke bei den Berufungsverhandlungen ihre Unterstützung zugesagt, da die Universität Bamberg ja seit Jahren konsequent auf Open Access setzt. Insofern bin ich hier richtig gelandet und auch sehr dankbar dafür.
Was sind die wichtigsten Ziele als Lehrender bzw. Forschender in Ihren kommenden Jahren an der Universität Bamberg?
Schon jetzt habe ich die gute Kommunikationskultur in Bamberg erleben dürfen, so hat Präsident Ruppert für Erstberufene ein unterstützendes Mentorenprogramm ins Leben gerufen, Dekan Behmer hat sich viel Zeit genommen, mir die interdisziplinären Kooperationsmöglichkeiten an der geistes- und kulturwissenschaftlichen Fakultät nahezubringen, und am Institut für Romanistik hat man mich mit offenen Armen empfangen. Ich ziehe im Moment vom (auch nicht gerade hässlichen) Regensburg ins schöne Bamberg um, habe bereits ein Abonnement der Symphoniker bestellt und mein erstes Rauchbier probiert. In Absprache mit den Kolleg/innen stärke ich in den nächsten Jahren die kulturwissenschaftliche Ausrichtung der Bamberger Romanistik. An einer Universität der kleinen Fächer (das heißt auch: mit Professuren ohne Mitarbeiterstellen) beantrage ich die Förderung eines Forschungsprojekts, um auch dem wissenschaftlichen Nachwuchs Gelegenheit zur Qualifikation zu geben. Neben den genannten Schwerpunktinteressen bin ich in nächster Zeit erstmal neugierig auf die Kolleg/innen und Studierenden an der Universität.
[1]: Vgl. persönlicher Blog: http://nonnenmacher.romanischestudien.de
[2]: Zur Buchreihe „Politisches Denken und literarische Form“: https://www.springer.com/series/13519
[3]: Zur Zeitschrift Romanische Studien: http://www.romanischestudien.de/index.php/rst/issue/archive
Ill.: Delacroix, La Liberté guidant le peuple