Kai Nonnenmacher, „Familienepos in acht Zeugungsakten: Laurent Quintreau“, in Rentrée littéraire: französische Literatur der Gegenwart, 22. Februar 2023, http://rentree.de/2023/02/22/familienepos-in-acht-zeugungsakten-laurent-quintreau/

Auszug:

Laurent Quintreaus Ève et Adam (Paris: Rivages, 2023, 528 Seiten) will den Zusammenprall dieser Prinzipien erzählen, Familienhistorie wird hier eine kontingente Vereinigung von Sexualpartnern, erzählt über mehrere Generationen hinweg von 1852 bis in die Zukunft, das Jahr 2046, insgesamt also 200 Jahre fortschreitender Vererbung. Eva steht im Titel an erster Stelle, die Rollenverteilung der biblischen Paradiesgeschichte wird umgedreht. […]

Schon der Doppelname „Marcheville-Froissart“ der Sippe in Ève et Adam lässt Assoziationen an die Rougon-Macquart von Émile Zola anklingen, diese naturalistische Natur- und Sozialgeschichte einer Familie unter dem Zweiten Kaiserreich in 20 Romanen. Freilich ist bei Zola die Familiengenealogie erbbiologisch ein Weg in den Niedergang und ins Pathologische. Es ging ihm programmatisch ja nicht um die freie Vereinigung der Vorfahren, sondern um die dreifache Determiniertheit der Menschen durch ihr Milieu, die historischen Umstände und eben die Erbanlagen.

Laurent Quintreaus bisherige Romane haben sich immer stärker in Richtung experimenteller formaler Settings entwickelt, teils bis in die Nähe der oulipotischen Contraintes gehend. Jeder Part von Ève et Adam ist im vorliegendem Falle einem Familienmitglied gewidmet, das seine Keimzellen an den nächsten Erben weitergibt, und es endet, wenn der Zellteilungsprozess der Meiose sich in Gang gesetzt hat und wenn das genetische Material der beiden Sexualpartner bereit ist, zum Embryo zu werden. Der Verlag schrieb in seiner Ankündigung: „Ob es sich um geteiltes oder ungeteiltes Begehren, um das Recht auf Übergriffe, um Ehebruch, coolen Sex, die Ehe für alle oder genetische Kompatibilitätsprüfung handelt, der Leser wird Zeuge des Sittenwandels und der gesellschaftlichen Umwälzungen, die von der männlichen Dominanz zu der Zeit nach #metoo geführt haben.“